02
Jan 2015

Pretty Woman oder Bewusstsein für das Wesentliche

Thema: Gesundheit & Politik
Robyn O'Brien, Ex-Finanzanalystin der Nahrungsindustrie und Aktivistin für gesundes Essen. Ein Allergieschock ihres jüngsten Kindes bewirkte das Umdenken.
Robyn O’Brien, Ex-Finanzanalystin der Nahrungsindustrie und Aktivistin für gesundes Essen. Ein Allergieschock ihres jüngsten Kindes bewirkte das Umdenken.

Was sagt Ihnen der Name Julia Roberts? Wer nicht ins Kino geht, wird hier vermutlich passen. Jene, die mit dem Namen etwas anfangen können, denken sofort an … Pretty Woman. Und dass dies so ist, sagt eine Menge aus über uns und unsere Kultur. Nichts gegen schöne Frauen (oder Männer: Matthew McConaughey ist, wenn überhaupt, auch eher für seine Rolle in Surfer Dude im weiblichen Gedächtnis, denn für seinen Part als AIDS-Kranker Rebell Ron Woodrooff im OSCAR-Hit Dallas Buyers Club), doch es wäre besser um unsere Gesellschaft bestellt, wenn Julia Roberts bei mehr Menschen mit ihrer Rolle als Erin Brockovich in Erinnerung geblieben wäre. Erin Brockovich ist eine zwar auch attraktive, aber vor allem entschlossene Kämpferin gegen Unrecht und für Verbraucherrechte. Dass wir uns statt ihrer an eine namenlose Prostituierte erinnern, wenn wir an große Rollen der Schauspielerin Julia Roberts denken, sagt viel mehr über uns aus, als uns lieb sein wird. Doch es ist so.
Allerdings gibt es Hoffnung. Und die wird unter anderem verkörpert durch Menschen wie Robyn O’Brien. Das gemeinsame zwischen Brockovich und O’Brien ist nicht in erster Linie ihr Äußeres. Es ist ihr Einsatz gegen starke kommerzielle Interessengruppen. Wo sich die eine gegen einen Milliarden schweren Energiekonzern behauptet hat, kämpft Robyn O’Brien gegen die Nahrungsmittelindustrie. Und Sie weiß genau, mit wem sie es in diesem Kampf zu tun hat: die Texanerin war jahrelang Finanzanalystin für die Börsenperformance von Multis wie Kraft, Nestlé und anderen.
Ihre Geschichte ist die einer typischen Baby-Boomerin: Aufgewachsen als All-American-Girl im Süden der USA, schlau, Studium mit Prädikatsexamen und dann Karriere in einer Männerdomäne: Analysten sind Alpha-Tiere. Sie bewegen Milliarden mit ihren Empfehlungen, und sie lassen es ihre Umwelt deutlich spüren, wie gut sie sind. Wer neu dazu kommt, muss mit dem Vorlieb nehmen, was übrig ist. Für Robyn O’Brien, einzige Frau in einem Team von Männern, war das die Nahrungsmittelindustrie. Sie lernte die Branche kennen, und durchaus auch lieben. Businesspläne von Konsumgüterherstellern machten ihr Spaß.
Bis eines Tages ihre jüngste Tochter am Frühstückstisch mit einem allergischen Schock kollabierte. Die Mutter verstand die Welt nicht mehr, als ihr die Kinderärzte von der rasanten Zunahme der Lebensmittelallergien und -unverträglichkeiten in wenigen Jahren berichteten. Die Rede war von ihrer Branche, doch sie hatte keine Ahnung. Das sollte sich ändern. Robyn recherchierte nächtelang. Und was sie entdeckte, schmeckte ihr ganz und gar nicht. „Betriebswirtschaftlich konnte ich nachvollziehen, warum man die Lebensmittel immer stärker labortechnisch veränderte. Die Produkte konnten länger konserviert werden, was die Dauer erhöhte, in der sie abverkauft werden konnten, ohne zu verderben. Profit. Klar. Aber der Preis ist eine gigantische Zunahme an ernsthaften Erkrankungen. Warum hat man uns davon nichts gesagt,“ berichtet sie inzwischen regelmäßig in ihren Auftritten.

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Robyn O’Brien ist klar geworden, dass es von ihr, wie von jedem einzelnen abhängt, eine Änderung herbei zu führen. Informationen sind da. Sie müssen genutzt werden. Von Investoren, die nicht mehr länger auf Methoden setzen sollen, in denen Profitstreben die Manipulation unserer Lebensmittel rechtfertigt. Der Kampf gegen Gentechnisch veränderte Organismen (GMOs) ist ein wichtiges Aktionsfeld für Robyn O’Brien geworden. Mit ihrerm Hintergrund als Analystin überzeugt sie mehr und mehr Investoren, dass diese Anlagestrategie nur kurzfristig Erträge verspricht, langfristig jedoch enorme Kosten auf die Volkswirtschaft zukommen werden. Entsetzt berichtet O’Brien davon, dass die USA zweieinhalb mal mehr ausgeben für ihr Gesundheitswesen als andere Länder. Und sie ist in der Lage, dies in einen Zusammenhang zur Entwicklung in der Lebensmitteltechnologie zu setzen.
Doch auch die Verbraucher können – und müssen – ihren Beitrag leisten. Wie erwähnt: die Informationen sind da. Es müssen Konsequenzen daraus gezogen werden. Die Nahrung muss nicht nur bewusster erzeugt, sondern auch bewusster eingekauft werden!

Europa mit seiner kritischen Haltung gegen Gentechnik dient O’Brien in ihrer Argumentation in den USA als Vorbild. Doch auch hier ist längst nicht alles Gold, was glänzt. Neben GMOs sind viele andere Zusatzstoffe auch in Europa und bei der hier ansässigen Industrie (Nestlé, Unilever und Co.) beliebt. Shelf-life, Haltbarkeit, ist Zeit, und Zeit ist Geld. Daneben wirken durch geschicktes Lobbying die selben Kräfte, die O’Brien in den USA beklagt: Die Industrie setzt einen erheblichen Teil ihrer Erlöse ein, um bei politischen Entscheidungsträgern für bessere Rahmenbedingungen für ihre Branche zu sorgen. Und besser für die einen, ist manchmal schlicht synonym für „schlechter für die anderen„. Zulassungsverfahren für altbewährte und sichere Produkte werden plötzlich (im Namen des Verbraucherschutzes) eingeführt. Gerade kleine und mittelgroße Produzenten sind davon in viel stärkerem Maße betroffen als Multinationale Konzerne, weil sie sich die aufwändigen Prozesse schlicht nicht leisten können.
Eine immer weithin Gefahr besteht in den vermeintlichen Segnungen der transatlantischen Handelszusammenarbeit, die über Abkommen wie TTIP zu einer Angleichung der Bedingungen führen. Geworben wird von Politik und Großindustrie mit den zu erwartenden Einsparungen und Zuwachs an Arbeitsplätzen. Ob die Zahlen, die hier ins Feld geführt werden, realistisch sind, wird vielfach bezweifelt. Fatal daran ist, dass tatsächliche oder behauptete Vorteile mit inakzeptablen Nachteilen verknüpft werden. Insbesondere Rechtsstaatlichkeit und Demokratie sind berührt. „Investorenschutz“ ist hier das Codewort. Tatsächlich verbirgt sich dahinter eine ernste Gefahr: Konzerne können Staaten vor Privatgerichte zerren, wenn sie sich von staatlicher Willkür bedroht sehen.
Klingt vernünftig? Nun, im Beispiel von Robyn O’Brien bedeutet dies möglicherweise, dass Verbote gegen den Einsatz von Gentechnik nicht mehr möglich sein werden, wenn sich die Konzerne wie Monsanto mit ihren Klagen an die Schiedsgerichte wenden. Obwohl keine gesicherten Erkenntnisse über die Wirkung von gentechnisch veränderten Organismen auf die menschliche Gesundheit vorliegen, kann in den USA kann eine Zulassung (für ein Gentechnik-Produkt) nur verweigert werden, wenn die Schädlichkeit bewiesen ist. Ein solcher Beweis ist in der Praxis oft nicht zu führen, da sich häufig Wissenschaftler finden, die eine Schädlichkeit selbst dann noch in Zweifel ziehen, wenn es längst erdrückende Indizien durch die beobachtete Wirkung gibt. Bis heute werden sowohl die Gefahren von Passivrauchen, als auch die Ursachen des Klimawandels, wie auch die Gefahren von Gentechnisch veränderten Organismen nach wie vor von einzelnen Wissenschaftlern angezweifelt. In Europa, und erst recht in Deutschland führt daher das Fürsorgeprinzip des Staates zur Gefahrenabwehr dazu, dass Anwendungen untersagt werden. TTIP könnte dazu führen, dass solche Verbote der Zulassung von GMOs zukünftig als „staatliche Willkür“ vor ein Schiedsgericht gebracht werden könnten. Unter Umständen wären sogar Verordnungen zur Kennzeichnungspflicht (gibt es in Europa für GMOs, nicht aber in den USA) ein „Handelshemmnis“ und dürften zukünftig nicht mehr verlangt werden.

Informationen über TTIP

Hier klicken, um Ihre Ablehnung des TTIP-Abkommens in der gegenwärtigen Form zu erklären


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