Ex-CIA Analyst: »Benutzen die Ukraine, um Russland zu schwächen«
Thema: Gesundheit & PolitikRay McGovern ist pensionierter Analyst der US-Amerikanischen CIA. Seit Anfang der 1960er Jahre hat der studierte Experte für russische Geschichte, Sprache und Kultur für die amerikanische Regierung Erkenntnisse über die Sowjetunion und Russland analysiert und beispielsweise für Präsident Ronald Reagan direkt vorgetragen. Im Interview mit Richard Gage berichtet McGovern, der als Reaktion auf Instrumentalisierung und Fälschung von Geheimdienstinformationen die Organisation Veteran Intelligence Professionals for Sanity VIPS gegründet hat, über Hintergründe zum Ukraine-Krieg.
Wir dokumentieren zentrale Auszüge, in denen der amerikanische Geheimdienst-Analyst darlegt, wie die heutige Situation Russlands mit der Ukraine (und deren USA/NATO-Verbindung) jener der Kuba-Krise 1962 für die USA und Kuba (mit deren UdSSR-Verbindung) vergleichbar ist. McGovern verbindet seine Analyse mit unverholener Kritik an „underfahrenen Sicherheitsberatern“ von Präsident Biden. Dieser hatte Ende 2021 bereits Gespräche über eine neue europäische Sicherheitsarchitektur mit Russland begonnen – und diesem Zusammenhang Zugeständnisse an russische Sicherheitsinteressen gemacht, die kurz danach „in der Versenkung verschwanden“. Die russische Intervention in der Ukraine sei, so McGovern, mit hoher Wahrscheinlichkeit mit China abgestimmt, das sich vor wenigen Jahren ebenfalls im Visier der NATO wiedergefunden habe.
Ray McGovern: Warum ist das von Bedeutung? Ich hatte schon erwähnt, dass als die Krim von Russland annektiert wurde, Putin schon klargemacht hatte, dass Russland die Stationierung von Offensivraketen nicht erlauben würde. Weder auf der Krim, noch in der Ukraine. Etwas, das den meisten Menschen unbekannt ist, weil die Nachricht unterdrückt wurde:
Gegen Ende des vergangenen Jahres, im Dezember 2021 haben Biden und Putin in einem Telefonat am 7. Dezember Gespräche über einen neuen europäischen Sicherheitsrahmen begonnen. Das war den Russen so wichtig, dass sie den sofortigen Beginn verlangten. Und man muss Präsident Biden zugute halten, dass er zugestimmt hat: “Einverstanden. Wir treffen uns dazu im Januar. Am 12. Januar.“
Und dann sagen die Russen plötzlich: “Wir müssen mit Biden sprechen. Putin will noch vor Jahresende mit Biden sprechen.” Sie haben (dann) am 30. Dezember miteinander telefoniert. Interessanterweise ist der US-Bericht über dieses Gespräch sehr spärlich, er sagt gar nichts. In der russischen Fassung heißt es, und ich zitiere: “Mr. Joseph Biden sagte, dass die USA nicht die Absicht haben, Offensivraketen in der Ukraine zu installieren.” Zitat Ende. Wow! Ein großes Zugeständnis. Und das knüpft an das an, was ich vorher gesagt habe.
Nun, was ist (dann) passiert? Das weiß ich nicht…
Das Einzige, was ich erkennen kann, ist, dass es wahrscheinlich ist, dass, als Joe Biden am nächsten Morgen aufwachte, seine Berater sagten: „Joe, das kannst du nicht machen. Das sind unsere Kronjuwelen. Wir können sie (damit) unter Druck setzen.“ So oder so wurde den Russen also gesagt: „Erinnert ihr euch daran, was Biden zu Putin gesagt hat? Vergesst es.”
Nun, das ist eine Schlussfolgerung, ich habe kein Dokument, auf dem das steht, aber ich habe das russische Communiqué, ich habe die Tatsache, dass niemand bestritten hat, was im russischen Communiqué steht, und ich stelle fest, dass dieses wichtige Zugeständnis von Biden in der Versenkung verschwunden ist. Ich denke daher, es ist eine vernünftige Schlussfolgerung…
Warum sage ich das alles? Nun, wenn ich Putin wäre, hätte mich das eine weitere Lektion darüber gelehrt, dass man sich nicht darauf verlassen kann, wenn ein Präsident etwas verspricht, selbst wenn es unter vier Augen geschieht, selbst wenn es direkt am Telefon gesagt wird. Weil seine Untergebenen, manchmal das Militär, manchmal seine unerfahrenen außenpolitischen Berater, sagen: “Ach, vergiss es… Das hat er nicht wirklich so gemeint.” Okay. Und was bedeutet das? Nun, das bedeutet, dass das Vertrauen dahin ist.
Wenn ich richtig gelesen habe, durften die Unterhändler im darauffolgenden Monat nicht mehr [über diesen Verzicht auf Offensivraketen] sprechen. Kein Wort mehr darüber, und als dann die Ukrainer im Februar begannen, massiv gegen die prorussischen Provinzen dort vorzugehen, Donezk und Lugansk vor allem, sagte Putin: „Nun, wissen Sie, ich habe mir diese Sache lange angesehen, wir haben konkrete Vorschläge gemacht. Es sieht nicht so aus, als würden sie uns noch ernst nehmen. Die Ukraine ist eine existenzielle Bedrohung. Wenn sie ihr Wort brechen, wenn sie Offensivraketen in der Ukraine stationieren, sind wir wirklich in Gefahr.”
Lassen Sie mich erklären, was das bedeutet, für alle, die sich nicht damit auskennen: Es bedeutet, dass man früher, als die Interkontinentalraketen noch über die Kontinente flogen, etwa 30-35 Minuten Vorwarnung vom Start bis zum Ziel hatte, verstehen Sie? Sagen wir also, sie haben dieses Ding entdeckt und halten es für eine echte Bedrohung, dann sind das fünf Sekunden. Dann hatten Sie Zeit, sich an den Oberbefehlshaber zu wenden und zu fragen: „Wissen Sie, was wir tun sollten? Sollen wir sofort [auf den Knopf drücken und ] den Rest der Welt zerstören? Oder sollen wir abwarten?“
Wenn man nun diese offensiven Angriffsraketen direkt an der ukrainischen Grenze aufstellt, so wie sie in Rumänien und in Polen stationiert sind, dann hat Putin etwa acht, neun Minuten Zeit, um zu entscheiden, ob es sich um eine „TOM-A-GOG“ handelt… also eine Tomahawk Cruise Missile. Wenn es gar eine Hyperschallrakete ist, hat er nur fünf bis sieben Minuten Zeit… Das ist wichtig! Ich meine, versetzen Sie sich in seine Lage: Würden Sie keine Zeit haben wollen, praktisch keine Zeit, um die Entscheidung zu treffen, ob Sie den Rest der Welt zerstören wollen? Nun, ich glaube nicht. Und deshalb…
Richard Gage: Ist das eine Position, in der sich JFK befand, als die Sowjetunion in Kuba Raketen aufstellte…?
Ray McGovern: Das ist genau der Punkt! Und ich bin wirklich froh, dass Sie das erwähnt haben, denn das ist die Analogie! Wir betrachteten Chruschtschows Versuch, Angriffsraketen auf Kuba zu stationieren, als eine existenzielle Bedrohung! Wir haben einen Atomkrieg angedroht, um diese Dinger von dort wegzubekommen!
Glücklicherweise wurde JFK von einigen Leuten mit ziemlich kühlen Kopf beraten, die den Militärs, die nicht nur Russland, sondern auch China atomar vernichten wollten, das war der Kriegsplan, Paroli boten, und sie arbeiteten eine vernünftige Lösung aus, bei der es eine Gegenleistung gab: Wir stimmten im Stillen oder unter der Oberfläche zu, die Raketen aus der Türkei zu entfernen. Also wurde damals etwas erreicht.
Wir sahen [1962] eine existenzielle Bedrohung und waren bereit, einen Atomkrieg zu riskieren. Nun eine kleine Randnotiz, die hier relevant ist: Ich erwähnte, dass ich zur CIA berufen wurde und dass ich für ein Jahr vom aktiven Dienst zurückgestellt wurde. Am 3. November 1962 meldete ich mich als junger Leutnant des Infanterie-Nachrichtendienstes in Fort Benning in Georgia, und wir waren alle sehr aufgeregt und eifrig, wir wollten diese Waffen lernen, wie den neuen Granatwerfer… Neue, neue, Waffe. Und raten Sie mal… Es gab dort keine Waffen!
Nicht eine!… Keine Haubitzen. Null. Und so fragten wir den Unteroffizier: “Was ist hier los? Das ist die Infanterieschule des Geheimdienstes der Armee. Wo sind unsere Waffen?” Und siehe da, sie sagten: “Sie sind alle unten in Key West, sie sind alle unten genau auf Kuba ausgerichtet, und sie sind dort seit sechs Wochen…” Wow. Das war am dritten November. So nah standen wir davor.
Und das hätte zu einer Katastrophe führen können… Nun, eine Sache, an die man sich erinnern sollte, ist, dass, obwohl wir Geheimdienstleute, sehr stolz waren, dass wir die U2 Spionageflugzeuge hatten, die Raketen in Kuba gefunden haben. Aber als JFK uns fragte… „Und, sind sie bewaffnet? Haben sie Nukleare Sprengköpfe?“ Da sagten wir vom Geheimdienst: “Nun, wir schätzen… Nicht. Unserer Einschätzung nach haben sie keine Atomsprengköpfe.” Nun, ich war damals nicht dabei, aber ich könnte mir vorstellen, dass JFK gesagt hätte: “Was zum Teufel bedeutet… ‚Wir schätzen‘? Was sind Ihre Beweise? ‚Wir schätzen… ‚ Es ist mir egal, was Sie schätzen! Sind sie bestückt oder nicht? Und wenn Sie es nicht wissen, sagen Sie es mir!”
Und nun, raten Sie mal? Wir wussten es 30 Jahre lang nicht. Die Raketen waren bestückt!
Richard Gage: Oh mein Gott!
Ray McGovern: Die Öffentlichkeit weiß das nicht, aber [der damalige Verteidigungsminister] McNamara selbst und andere erfuhren von den kubanischen Führern und von den Russen, dass die Raketen bewaffnet waren… Das stand also auf dem Spiel. Richard, ich bin wirklich froh, dass Sie das angesprochen haben, denn das ist die Analogie hier!
Mit anderen Worten: Kennedy hielt es [Raketen auf Kuba] für eine existenzielle Bedrohung. Warum versetzen wir uns nicht in Putins Lage und schenken ihm Verständnis dafür, dass er die Ukraine als existenzielle Bedrohung empfinden könnte: Die Zahl der NATO-Mitglieder hat sich verdoppelt, und jetzt wollen Sie ein Land [in die NATO holen], das nicht nur viele Feindseligkeiten gegenüber den Russen hegt, sondern das auch noch direkt an der russischen Grenze liegt. Das ging zu weit, und ich glaube, Putin hat beschlossen: „Jetzt ist wahrscheinlich der beste Zeitpunkt.“ Denn die ukrainischen Streitkräfte waren, wie die meisten wissen, gegen die östlichen Provinzen im Donbas angetreten. Putin behauptet, sie seien bereit, die russischsprachige Bevölkerung, von denen viele, Hunderttausende, russische Staatsbürger sind, zu beseitigen. Und er dachte, dass dies wahrscheinlich der richtige Zeitpunkt sei.
Bedeutsam in diesem Zusammenhang, und das ist meiner Meinung nach bei all diesen Überlegungen ebenso wichtig, ist China. China?
China, richtig, denn China wurde vor zweieinhalb Jahren von der NATO bedroht. China wurde gewarnt, die NATO wird China als die Hauptbedrohung ansehen. Genauso wie die USA es tun.
DIE NATO! Die Nordatlantikvertragsorganisation [im Norden des Atlantik], China [im Pazifik]? Nun, sie haben es so formuliert?! China weiß, dass es für diese Art von Behandlung ansteht.
Okay, um es kurz zu machen: Die Russen und die Chinesen haben sich zusammengetan, und so wie ich es gelesen habe, weiß ich, dass Putin am vierten Februar dieses Jahres nach Peking gereist ist, zur Eröffnung der Olympischen Spiele, die Olympischen Spiele von Peking, und sie haben damals eine sehr starke Solidaritätserklärung abgegeben… Ich weiß es nicht genau, aber ich vermute, das Gespräch verlief in etwa so:
Putin: „Bester Freund Xi“,
Xi hat Putin als seinen besten Freund bezeichnet. Also.
Putin: „Kollege, Genosse Xi, ich weiß nicht, wie ich es genau sagen soll, aber der Westen nimmt mich nicht ernst, er nimmt unsere Bedenken nicht ernst. Wir haben diese Vorschläge gemacht, und sie haben sich darüber hinweggesetzt. Ich hatte sogar eine persönliche Zusage von Biden, keine Offensivraketen in der Ukraine zu stationieren, und plötzlich hieß es: ‚Vergessen Sie’s.‘ Okay, ich denke also, wir werden vielleicht in die Ukraine einmarschieren müssen, zumal sie so aufgestellt zu sein scheinen, dass der Großteil der ukrainischen Streitkräfte direkt gegenüber dem Donbas steht, sie könnten dort einmarschieren, um die Russen zu beseitigen.
Xi: „Sie meinen: Nachdem die Olympischen Spiele vorbei sind, richtig?“
Ray McGovern: Nun, das kann ich nicht beweisen, aber einen Tag nach dem Ende der Olympischen Spiele hat Putin Donezk und Luhansk als unabhängige Länder anerkannt, und drei Tage später marschiert er in die Ukraine ein. Ich mag es nicht, wenn Armeen in andere Länder einmarschieren, und die Chinesen auch nicht. Um Himmels willen: es war ihr Grundprinzip, die Nicht-Einmischung in die Angelegenheiten anderer Länder! Und doch haben sie ihm [Putin] meiner Meinung nach eine Ausnahmegenehmigung erteilt und gesagt: „Okay, wir sind die Nächsten, wenn ihr versagt, dann macht weiter und räumt das auf“.
Ich glaube nicht, dass Putin, so berechnend er sonst ist, soetwas auf eigene Faust getan hätte, wenn er nicht die Zusage gehabt hätte, dass Xi ihn zumindest stillschweigend, nihil obstat oder imprimatur, wie auch immer man es nennen will, unterstützen würde, selbst wenn er so vorgehen würde…
Andernfalls hätten wir es mit einem wirklich rücksichtslosen Putin zu tun, aber nicht mit der Art von Mensch, die er meiner Meinung nach weiterhin ist.
Das ist also ein ganz schöner Brocken… Sie haben erwähnt, dass ich nicht auf CNN zu sehen bin. Ich war schon seit 12 oder 13 Jahren nicht mehr auf CNN. Sie lassen mich solche Dinge nicht sagen, denn ich würde sagen, dass meine militärischen Berater von Veteran Intelligence Professionals for Sanity (VIPS) und andere enge Freunde mir sagen, dass Russland bestimmt den Donbas aufräumen wird… Den Donbas zu säubern, das haben sie schon zu drei Vierteln geschafft. Die Frage ist doch: Wann können wir mit dem Blutvergießen aufhören? Wann hören die USA auf, diese Sache bis zum letzten Ukrainer auszufechten? Was wir brauchen, ist ein Waffenstillstand jetzt oder morgen, und das ist möglich! Wir könnten diese Sache regeln.
Aber im Moment sieht es so aus, als müssten wir das Wort von Verteidigungsminister Austin für bare Münze nehmen, dass das Hauptziel darin besteht, Russland zu schwächen. Das hat sehr wenig mit der Ukraine zu tun, außer dass wir sie als die Art von Instrumenten, als die Art von Menschen benutzen, die wir oft für diese Art von Zweck verwenden.
Es tut mir wirklich leid, dass ich das sagen muss…
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