14
Nov 2018

»Glyphosat ist das Feindbild schlechthin«

Thema: Gesundheit & Politik

Alles ganz harmlos? Der für Pflanzenschutz zuständige Vorstand der Bayer AG, Liam Condon, hat dem Berliner Tagesspiegel ein Interview gegeben. Auf einer halben Zeitungsseite in der Printausgabe, Grundpreis einer gleichgroßen Anzeige im redaktionellen Teil etwa 20.000 EUR, ist der Manager bemüht, die Bedenken gegen Glyphosat zu zertreuen, das mit der Monsanto-Übernahme wohl umstrittendste Produkt des Chemiegiganten. Bezeichnenderweise betont der Tagesspiegel die Sprachbegabung des gebürtigen Iren. Eine Sprache hat der Beitrag jedoch unerwähnt gelassen, die in den Antworten ganz offensichtlich zum Einsatz gekommen ist: Die Sprache der Verharmlosung. Anlass genug, im Folgenden sieben Korrekturen bzw. Ergänzungen hinzu zu fügen, damit sich interessierte Leser eine eigene Meinung zu Glyphosat bilden können.

1. Gefragt zu den Kursverlusten der Bayer-Aktie nach einem Urteil in den USA, welches einem Kläger Schadensersatz für gesundheitliche Schäden durch Glyphosat zugesprochen hatte, antwortete Condon:

»Das Urteil ist ein Geschworenenurteil in der ersten Instanz und ändert wirklich nichts daran, dass die Wissenschaft und Zulassungsbehörden weltweit Glyphosat seit mehr als 40 Jahren bei sachgemäßer Anwendung für sicher halten.«

Dies ist eine Standard-Antwort des Glyphosat-Herstellers, die versuchen soll, Kritikern die Grundlage zu entziehen. Kritik sei „wissenschaftlich nicht begründet“ heißt es immer wieder.

Richtig ist, dass u.a. der emeritierte Professor für Pflanzenbiologie, Don M. Huber, im Vitalstoff.Blog-Interview erläutert hat, wie fragwürdig Monsanto vorgegangen ist, um sich die ursprüngliche Unbedenklichkeitserklärung von Wissenschaftlern bestätigen zu lassen: es wurden bestimmte Fragen gar nicht erst gestellt. Auch nahezu alle seither erschienenen Studien sind größtenteils entweder von der Industrie finanziert oder lassen eine Langzeitfolgen-Betrachtung vermissen. Oder beides.

Die ausgebildete Biologin Dr. Stephanie Seneff (MIT Boston) und ihr Kollege Anthony Samsel haben darüber hinaus in mehreren Aufsätzen beschrieben, in welcher Weise Glyphosat schädlich für Mensch und Umwelt sein dürfte. Die entsprechenden Studien dazu sind aufwendig und hätten von der öffentlichen Hand in Auftrag gegeben werden müssen. Das geschah nicht. Stattdessen wurden vielfach Studien, die von der Industrie finanziert wurden, als Beleg akzeptiert.

2. Glyphosat schütze die Bodenbiologie, weil Landwirte nicht mehr pflügen müssen, wenn sie Glyphosat einsetzen.:

»Landwirte müssten mehr pflügen, was den Boden und damit die Biodiversität schädigt. Wer für mehr Nachhaltigkeit in der Landwirtschaft ist, müsste sich für Glyphosat einsetzen, anstatt den Ausstieg zu fordern.«

Offensichtlich möchte der sprachbegabte Bayer-Vorstand der Öffentlichkeit einreden, dass die Bodenbiologie gefährdet ist, wenn ein paar Regenwürmer von den Pflugscharen zerrissen werden.

Tatsächlich ist die Qualität der Bodenbiologie eine sehr viel differenzierter gelagerte Angelegenheit. Es kommt vor allem darauf an, wie hoch die Vielfalt und Beschaffenheit der Mikroorganismen im Boden ausfällt. Hier wirkt sich Glyphosat als Breitband-Antibiotikum extrem negativ auf die Vielfalt aus, wie zahlreiche Untersuchungen belegen.

3. Glyphosat trage dazu bei, eine Reduzierung von Pflanzenschutzmitteln zu erreichen:

»Beide Bereiche können zu einer deutlichen Reduzierung von Pflanzenschutzmitteln beitragen, werden aber trotzdem bekämpft.«

Dies ist eine Verheißung, neben der Hoffnung auf höhere Erträge, die von Agarindustrie-Giganten stets politisch und gegenüber der Öffentlichkeit genährt wird.

Das Gegenteil scheint der Fall zu sein, wie unter anderem Professor Don Huber in jahrelanger Arbeit dokumentiert hat. Tatsächlich entwickeln sich Resistenzen auch gegen Glyphosat, was nach Angaben von Dr. Seneff daran liegen könnte, dass genetische und epigenetische Veränderungen zu einer Verdrängung der Aminosäure Glycin führen. Anstatt sich auf die Behauptung der Industrie zu verlassen, sollten Regulierungsbehörden dringend benötigte Grundlagenforschung zu diesen Fragen beauftagen. Und zwar bei Wissenschaftler und Institutionen, die nicht von „Drittmittelforschung“ abhängig sind!

4. Weil Kritiker von Glyphosat offensichtlich im entsprechenden Umfeld verortet werden, bekommt die Bio-Branche ihr Fett weg. Sie sei nicht annähernd so umweltfreundlich, wie es der Anspruch vortäusche:

»Obst und Gemüse [werden] mit Lastwagen oder sogar per Flugzeug auf den langen Weg nach Deutschland geschickt, und  die Anhänger von Bio-Lebensmitteln kaufen sie mit gutem Gewissen im Supermarkt. Das ist doch absurd und auf jeden Fall nicht nachhaltig.«

Hier liegt der Mann sogar richtig. Doch ist dies ein Argument für regionale Strukturen, aber keine Absolution für Glyphosat.

5. Stichwort Klimawandel:

»Wollen wir die Folgen des Klimawandels bewältigen, können wir es uns nicht leisten, aus ideologischen Gründen auf den Fortschritt [zu] verzichten.«

Der Bayer Manager denkt bereits daran, die Folgen des Klimawandels für sein Unternehmen zu nutzen. Es geht jedoch darum, den Klimawandel abzuwenden. Dazu leisten die von Glyphosat begünstigten Monokulturen keinen Beitrag. Jedenfalls keinen positiven.

6. Wo liegen die Hauptabsatzmärkte für Bayer/Monsanto?

»Nord- und Lateinamerika. Diese Regionen ernähren mit ihren Exporten die Welt.«

Ooops. Eben noch (siehe oben unter 4.) die Widersprüche der Bio-Fraktion aufgespießt und Nachhaltigkeit beschworen, da folgt der logische Bruch: Bayer unterstützt globale Vermarktungsstrukturen, die „die Welt ernähren“. Nichts regionales.

7. Das Schlusswort:

»Sagen wir mal so: Wir plädieren leidenschaftlich dafür, dass wichtige Entscheidungen nicht auf Basis von Emotionen oder Ideologien, sondern auf Grundlage anerkannter wissenschaftlicher Fakten getroffen werden.«

Eingestiegen ist der Bayer-Vorstand mit dem Mantel der wissenschaftlichen Unantastbarkeit, folglich ist auch der Exit bemüht, den Schein der Eleganz und Sachlichkeit zu wahren. Wer jedoch mithilfe regulatorischer Nachlässigkeit jahrzehntelang Gewinne in Milliardenhöhe erzielen konnte, dem fallen ein paar Promille (Millionen sind nicht mehr als ein Promille von Milliarden) nicht ins Gewicht. Im Gegenteil: sie sind „nützliche Investitionen“ in Öffentlichkeitsarbeit, Lobbytätigkeit und Wissenschaftssponsorig.

In Zeiten wie diesen, in denen öffentliche Kassen knapp gehalten werden, kann man mit solchen Geschäftsmodellen weit kommen. Vorausgesetzt die Verbraucher spielen mit. Und die Natur…


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