11
Mai 2019

Wider besseres Wissen

Thema: Wissenschaft & Forschung

Hartnäckig hält sich die Meinung, Glyphosat, das weltweit meistbenutzte Pestizid, sei unschädlich für Mensch und Tier. Dabei gibt es spätestens seit 2017 Klarheit darüber, dass diese Meinung falsch ist. Im Gegenteil: Glyphosat, das haben Wissenschaftler an der University of Virginia [PDF]gezeigt, verringert den zur Aufrechterhaltung der Integrität der menschlichen Darmschleimhaut enorm wichtigen elektrischen Widerstand zwischen Epithelzellen (TEER) nicht nur dramatisch, sondern zerstört auch die in einer gesunden Darmschleimhaut gleichmäßige Binnenstruktur von Darmzellen und bewirkt eine chaotisch-ungeordnete Verteilung des Zellkerns in der Zelle. Beides manifestiert die geringere Funktionalität der Tight Junctions und eine damit verbundene Durchlässigkeit der Darmschleimhaut mit der Folge einer Gefahr chronischer Aktivierung der Immunabwehr bei Menschen.

Glyphosat-Schädigung von Darmzellen im Laborversuch, mikroskopische Darstellung im Zeitverlauf

Was bedeuten diese Ergebnisse?

Eine Schwalbe macht keinen Sommer, und eine Studie beantwortet nicht alle Fragen. Wie genau Glyphosat wirkt, ist nach wie vor unverstanden. Weitere Studien sind nötig, um diese Fragen zu klären. In ihrem Aufsatz formulieren die Wissenschaftler ihre Hypothese. Danach ist Glyphosat durch seine molekulare Struktur in der Lage, die Bildung von Proteinen zu stören. Proteine sind mehr oder weniger komplexe Verbindungen von Aminosäuren mit spezifischen Eigenschaften. Auch die Tight Junctions in den menschlichen Schleimhäuten sind allesamt (es gibt verschiedene) Proteinmoleküle, die spezifische Eigenschaften besitzen, mit denen die Verbindungen zwischen den Zellen der Schleimhäute abweisende Wirkung gegen Fremdstoffe entfalten. Elektrischer und/oder elektromagnetischer Widerstand ist eine Funktionsweise. Die gerüstähnliche Struktur des Proteins Zonula Occludens (ZO) ist eine zweite Weise, mit der sichergestellt wird, dass nur Moleküle unterhalb einer Größe der Zwischenräume in der ZO-Struktur durch den von Zonula Occludens abgesichertern Zwischenräume gelangen können. Gluten ist ein Molekül, welches die ZO-Struktur auflösen kann. Bildlich gesprochen verbindet sich das Gluten-Protein dabei mit dem ZO-Protein zu einer neuen Struktur mit „größeren“ Zwischenräumen. Dabei entstehen erstens das „Abfallprodukt“ Zonulin und zweitens ein Leck (engl. Leak) in der Darmwand (engl. Gut Wall), durch das nun Moleküle hinter die Wand (ins Körperinnere) gelangen können, wo sie vom Immunsystem als Fremdkörper identifiziert und durch Bildung von Antikörpern sowie u.a. durch entzündliche Prozesse bekämpft werden, die sich – wie in diesem Beispiel auch das Zonulin – im Blutbild nachweisen lassen. Die Diagnose lautet: Leaky Gut.

Bemerkenswert daran ist, wie diese Hypothese – Störung der gesunden Proteinsynthese – mit den Überlegungen von Dr. Stephanie Seneff übereinstimmt. Seneff hatte in einem ursprünglich mit der Süddeutschen Zeitung vereinbarten Gastbeitrag argumentiert, dass Glyphosat sich analog zur natürlichen Aminosäure Glycin verhält. Die Struktur von Glyphosat ist mit der Glycin-Struktur nahezu identisch. Einzig eine Phosphorgruppe ist an das Glycin-Molekül angefügt worden, um Glyphosat zu synthetisieren. Die auf diese Weise künstlich erzeugte (in der Natur nicht vorkommende) Verbindung ist außergewöhnlich stabil und nur schwer abbaubar. Folglich ist Glyphosat im Körper (und im Boden) in steigenden Mengen vorhanden und damit sind auch kumulative Langzeiteffekte denkbar, die wissenschaftlich auch nur mit – bisher von Regulierungsbehörden nicht verlangten – Langzeituntersuchungen nachweisbar sein könnten.

Das Versäumnis der Regulierungsbehörden wie auch der politischen Entscheidungsträger liegt demnach vor allem darin, den ebenfalls hier im Blog von Professor Don Huber kritisierten krassen Verengungen des Risikopotenzials von Glyphosat durch den Hersteller und ursprünglichen Monopolisten Monsanto (jetzt Bayer AG) Glauben geschenkt zu haben. Diese Angaben liefen auf die Behauptung hinaus, Glyphosat unterbreche lediglich den EPSPS-Enzymweg, den Menschen nicht im Stoffwechsel verwenden, und sei folglich für Menschen ungefährlich. Hätten die Reglulierungsbehörden nachgefragt, auf welche Weise der Shikimatweg unterbrochen wird, wäre möglicherweise eine Gemeinsamkeit zutage getreten, die in der hier besprochenen Studie erneut auftaucht: Auch der Prozess des Enzyms EPSP-Sythase ist auf eine Glycin erfordernde Proteinsysnthese zur Herstellung aromatischer Aminosäuren angewiesen. Nicht die Unterbrechung des Shikimatwegs, sondern die Unterbrechung einer gesunden Proteinsynthese dürfte Glyphosat zu dem machen, was es ist: ein sehr gefährliches Molekül.

Quelle: Gildea JJ, Roberts DA, Bush Z. Protective Effects of Lignite Extract Supplement on Intestinal Barrier Function in Glyphosate-Mediated Tight Junction Injury. J Clin Nutr Diet. 2017, 3:1. doi: 10.4172/2472-1921.100035


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2 Kommentare
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Siegfried Ober-Grefenkämper
Siegfried Ober-Grefenkämper
4 Jahre zuvor

Danke für diese für mich wertvollen Informationen. Danke für den unermüdlichen Einsatz in Sachen Prävention und Gesundheit.