Die aktuellen Modelle zu COVID-19 sind nicht verlässlich
Thema: Gesundheit & PolitikVon Eran Bendavid, Jay Bhattacharya, und Neeraj Sood
Außerordentliche Maßnahmen wie die Anordnung von Ausgangssperren und Quarantänen wären gerechtfertigt, wenn COVID-19 Millionen Menschen töten würde. Doch die entscheidenden Daten zur Bestimmung wie tödlich dieses Virus wirklich ist, hat niemand gemessen. Es gibt sogar plausible Argumente dafür, dass die aktuellen Schätzungen um Größenordnungen daneben liegen. Allen schrecklichen Prognosen vieler Epidemiologen und Modellierer zum Trotz haben wir nur wenige zuverlässige Informationen darüber, dass COVID-19 ohne solche Schutzmaßnahmen Millionen Menschen töten wird.
Die Furcht vor COVID-19 beruht auf der hohen geschätzten Todesfallrate – etwa 2% bis 4% der Menschen mit bestätigtem COVID-19 sind gestorben. Wenn also 100 Millionen Amerikaner letztendlich COVID-19 bekommen, könnten unvorstellbare 2 bis 4 Millionen sterben. Wir glauben, dass diese Schätzung äußerst ungenau ist. Die wahre Todesrate ergibt sich aus dem Anteil der Erkrankten, die sterben, und nicht aus den Todesfällen unter den identifizierten positiven Fällen. Die Zahl der Fälle ist eine irreführende Hochrechnungen der Zahl der Infektionen aufgrund von Selektionsverzerrungen bei den Tests. Wie groß die resultierende Abweichung wirklich ist, könnte den Unterschied zwischen einer Epidemie mit 2 Millionen oder mit 20.000 Todesfällen ausmachen. Wenn die Zahl der tatsächlichen Infektionen viel größer ist als die Zahl der Fälle – um Größenordnungen größer – dann ist auch die tatsächliche Todesrate viel niedriger. Ist dies plausibel? Die bisherigen Daten legen nahe, dass dies nicht nur plausibel, sondern auch wahrscheinlich ist.
Stichproben aus China, Italien, Island und den USA deuten genau darauf hin. Am oder um den 31. Januar schickten viele Staaten Flugzeuge zur Evakuierung ihrer Bürgern aus Wuhan. Nach der Landung wurden die Passagiere in diesen Flugzeugen auf COVID-19 getestet und unter Quarantäne gestellt. Nach 14 Tagen lag die gemessene Prävalenz bei 0,9%. Wenn dies die Prävalenz im Großraum Wuhan am 31. Januar war, dann hatte der Großraum Wuhan bei einer Bevölkerung von etwa 20 Millionen Menschen 178.000 Infektionen, etwa 30-mal mehr als die Zahl der Fälle. Selbst wenn sich einige der Infizierten irgendwann zu Fällen entwickeln würden, lag die Sterblichkeitsrate bei etwa 0,1%.
Als nächstes die italienische Stadt Vò in Padua. Am 6. März wurden alle 3.300 Menschen in Vò getestet, und 90 wurden positiv getestet, was einer Prävalenz von 2,7% entspricht. Wendet man diese Prävalenz auf die größere Provinz Padua (955.000 Einwohner) an, in der 198 Fälle gemeldet wurden, so ergibt sich, dass es zu diesem Zeitpunkt tatsächlich 26.000 Infektionen gab – das ist das 130-fache der gemeldeten Fälle – und eine Sterblichkeitsrate von 0,03%.
In Island arbeitet deCode Genetics mit der Regierung zusammen, um weitreichende Tests durchzuführen. In einer Stichprobe von fast 2.000 völlig asymptomatischen Personen schätzten die Forscher die Krankheitsprävalenz auf etwas mehr als 1%. Ist es angesichts der Tatsache, dass die Epidemie in Island Wochen hinter der in den USA zurückliegt (ihr erster Fall wurde am 28. Februar gemeldet), plausibel, dass der Anteil der US-Bevölkerung, der infiziert wurde, doppelt, dreifach oder sogar zehnfach höher ist? Ja.
Schließlich kommen die besten (aber sehr schwachen) Beweise in den USA von der National Basketball Association. Zwischen dem 11. und 19. März wurden einige NBA-Spieler und -Teams getestet. Per 19. März waren 10 von 450 Spielern positiv. Da nicht alle getestet wurden, stellt dies eine untere Grenze für die Prävalenz von 2,2% dar. Die NBA ist keine repräsentative Bevölkerung, und vielleicht hat der Kontakt zwischen den Spielern die Übertragung erleichtert. Wenn wir die Daten jedoch auf Städte mit NBA-Teams (45 Millionen Einwohner) hochrechnen, erhalten wir in den USA mindestens 990.000 Infektionen. In diesen wenigen Tagen war die Zahl der in den USA gemeldeten Fälle 72- bis 773-mal geringer. Diese Zahlen implizieren eine um Größenordnungen geringere Sterblichkeitsrate von COVID-19, als es den Anschein hat.
Wie können wir diese Schätzungen mit den epidemiologischen Modellierern in Einklang bringen? Erstens kann der Test, der zur Identifizierung von Fällen verwendet wird – ein PCR-basierter Test – keine Menschen ausweisen, die infiziert waren und sich erholt haben. Zweitens waren die Testraten lange Zeit bedauerlich niedrig und in der Regel den Schwerkranken vorbehalten. Zusammengenommen bedeuten diese Fakten, dass die bestätigten Fälle wahrscheinlich um Größenordnungen geringer sind als die tatsächliche Zahl der Infektionen. Epidemiologische Modellierer haben ihre Schätzungen für diese Fakten nicht angemessen angepasst.
Die Epidemie begann in China irgendwann im November oder Dezember 2019. Der erste bestätigte Fall in den USA war eine Person, die am 15. Januar 2020 aus Wuhan angereist war, und es ist wahrscheinlich, dass das Virus schon davor eingeschleppt wurde: Viele Menschen reisten im Dezember von Wuhan in die USA. Aus Studien wissen wir, dass das Virus hochgradig übertragbar ist und dass sich die Zahl der Infektionen etwa alle drei Tage verdoppelt. Ein epidemischer Ausbruch am 1. Januar bedeutet, dass bis zum 4. März etwa 2 Millionen Menschen in den USA infiziert waren. Bis heute haben wir 118 COVID-Todesfälle durch diese 2 Millionen Infektionen zu verzeichnen, was einer Sterblichkeitsrate von 0,01% entspricht (ein Zehntel der Grippe-Mortalitätsrate von 0,1%). Inzwischen haben sich vielleicht schon 8 Millionen Amerikaner infiziert, das sind 2,5% der Bevölkerung. Wenn dem so wäre, sollte dies eine sehr beruhigende Nachricht sein.
Das macht COVID-19 nicht zu einem Nicht-Thema. Die täglichen Berichte aus Italien und den USA zeigen echte Kämpfe und überforderte Gesundheitssysteme. Der Umgang mit einer Epidemie mit 20.000 oder 40.000 Todesfällen und die Bewältigung dieser Epidemie unterscheidet sich jedoch stark von einer Epidemie mit 2 Millionen Todesfällen. Angesichts der enormen Folgen der Entscheidungen im Zusammenhang mit der Reaktion auf COVID-19 ist es von entscheidender Bedeutung, klare Daten zu erhalten, die unsere Entscheidungen jetzt leiten. Wir kennen die tatsächliche Infektionsrate nicht, [weder in den USA noch in den meisten anderen Ländern, d. Übers.]. Ein Antikörpertest in repräsentativen Stichproben zur Messung der Krankheitsprävalenz (einschließlich der Genesenen) würde sofortige, verwertbare Informationen liefern.
Wenn die Zahl der epidemischen Todesfälle, wie wir glauben, sehr viel geringer ist, dann sind Maßnahmen, die sich auf ältere Menschen und Krankenhäuser konzentrieren, sinnvoll. Wir werden Wege finden müssen zur Vermeidung, dass die Krankenhäuser bei der Behandlung von COVID-19-Patienten überfordert werden, wozu z.B. die Verschiebung von planbaren Operationen, die Umwidmung von Krankenhausressourcen zur Versorgung kritisch kranker Patienten und eine verbesserte Triagierung zählen. Und wir werden uns auf die Verringerung der Risiken für ältere Erwachsene und Personen mit Komorbiditäten konzentrieren müssen. Eine allgemeine Ausgangssperre ist die Kosten möglicherweise nicht wert, und wir sollten unverzüglich Schritte unternehmen, um die empirische Basis der Modelle zu evaluieren, die solche Maßnahmen stützen.
Aus dem Amerikanischen übersetzt von Uwe Alschner. Dieser Beitrag vom 21. März 2020 erschien in leicht veränderter Fassung am 24. März im Wall Street Journal.
[…] John Ioannids von der Stanford University früh kritisiert. Gemeinsam mit seinem Kollegen Jay Bhattacharya und weiteren Wissenschaftlern hat Ioannidis nun eine Studie vorgelegt, die am Beispiel des Santa […]
[…] John Ioannids von der Stanford University früh kritisiert. Gemeinsam mit seinem Kollegen Jay Bhattacharya und weiteren Wissenschaftlern hat Ioannidis nun eine Studie vorgelegt, die am Beispiel des Santa […]