14
Jan 2021

‚95% Wirksamkeit‘ der Impfstoffe? Mehr Details und die Rohdaten offenlegen!

Thema: Gesundheit & Politik
Von Dr. Peter Doshi

Als ich vor fünf Wochen zu den Ergebnissen der COVID-19-Impfstoffstudien von Pfizer und Moderna Fragen aufgeworfen habe, waren nur die Studienbeschreibungen und ein paar Pressemitteilungen öffentlich zugänglich. Heute sind zwei Fachpublikationen und etwa 400 Seiten zusammengefasster Daten in Form von mehreren Berichten verfügbar, die der FDA jeweils vor der Notfallzulassung des mRNA-Impfstoffs von beiden Unternehmen vorgelegt wurden. Während einige der zusätzlichen Details erfreulich ausfallen, sind andere genau das nicht. Im Folgenden skizziere ich neue Bedenken hinsichtlich der Vertrauenswürdigkeit und Aussagekraft der berichteten Ergebnisse zur Wirksamkeit.

„Verdacht auf COVID-19“

Alle Aufmerksamkeit hat sich auf die spektakulären Zahlen zur Wirksamkeit konzentriert: Pfizer meldete 170 durch PCR bestätigte COVID-19-Fälle, die sich mit 8 zu 162 auf die Impfstoff- und Placebogruppen aufteilten. Allerdings wurden diese Zahlen durch eine Kategorie von Erkrankungen in den Schatten gestellt, die als „vermutetes COVID-19“ bezeichnet wird – jene mit symptomatischem COVID-19, die nicht durch PCR bestätigt wurden. Laut dem FDA-Bericht über den Impfstoff von Pfizer gab es „insgesamt 3410 Fälle von vermutetem, aber unbestätigtem COVID-19 in der gesamten Untersuchungsgruppe, 1594 traten in der Gruppe mit dem Impfstoff auf, gegenüber 1816 in der Placebogruppe.“

Mit 20 Mal mehr Verdachtsfällen als bestätigten Fällen kann diese Kategorie von Erkrankungen nicht einfach ignoriert werden, nur weil es kein positives PCR-Testergebnis gab. Umso dringlicher ist es, die Zusammenhänge zu verstehen. Wenn man die Wirksamkeit des Impfstoffs gegen die Entwicklung von COVID-19-Symptomen überschlägig abschätzt, und zwar mit oder ohne positives PCR-Testergebnis, ergibt sich nur eine relative Risikoreduktion von 19 % (siehe Fußnote) – weit unter der von den Aufsichtsbehörden festgelegten Wirksamkeitsschwelle von 50 % für die Zulassung. Selbst nach Abzug der Fälle, die innerhalb von 7 Tagen nach der Impfung auftraten (409 bei Pfizer-Impfstoff vs. 287 bei Placebo), was die Mehrzahl der Symptome aufgrund kurzfristiger Reaktogenität des Impfstoffs einschließen sollte, bleibt die Wirksamkeit des Impfstoffs gering: nämlich auch nur 29% (siehe Fußnote).

Wenn es sich bei vielen oder den meisten dieser Verdachtsfälle um Personen handelte, die ein falsch negatives PCR-Testergebnis hatten, würde dies die Wirksamkeit des Impfstoffs drastisch verringern. Aber wenn man bedenkt, dass grippeähnliche Erkrankungen schon immer eine Vielzahl von Ursachen hatten – Rhinoviren, Influenzaviren, andere Coronaviren, Adenoviren, Respiratorische Synzytialviren usw. – könnten einige oder viele der vermuteten COVID-19-Fälle auf einen anderen Erreger zurückzuführen sein.

Aber warum sollte die Herkunft der Symptome eine Rolle spielen? Wenn die Patienten mit „vermutetem COVID-19“ im Wesentlichen den gleichen klinischen Verlauf haben wie die mit bestätigtem COVID-19, dann könnte „vermutetes plus bestätigtes COVID-19“ ein klinisch sinnvollerer Endpunkt der Studie sein als nur bestätigtes COVID-19.

Wenn jedoch die bestätigte COVID-19 im Durchschnitt schwerer ist als die vermutete COVID-19, müssen wir immer noch bedenken, dass am Ende des Tages nicht der durchschnittliche klinische Schweregrad zählt, sondern die Häufigkeit der schweren Erkrankung, welche die Krankenhauseinweisungen bedingt. Da es 20-mal mehr Verdachtsfälle als bestätigte Fälle von Covid-19 gibt und die Studien nicht darauf ausgelegt sind, zu beurteilen, ob die Impfstoffe die Virusübertragung unterbrechen können, scheint eine Analyse der schweren Erkrankungen unabhängig vom ätiologischen Erreger geboten – d. h. die Raten der Krankenhauseinweisungen, der Fälle auf der Intensivstation und der Todesfälle unter den Studienteilnehmern – denn nur so lässt sich die tatsächliche Fähigkeit der Impfstoffe beurteilen, der Pandemie die Schärfe zu nehmen.

Es gibt ganz klar einen Bedarf an Daten, um diese Fragen zu beantworten, aber der 92-seitige Bericht von Pfizer erwähnte die 3410 „vermuteten COVID-19“-Fälle nicht. Auch die Veröffentlichung im New England Journal of Medicine tat dies nicht. Ebenso wenig wie die Berichte über den Impfstoff von Moderna. Die einzige Quelle, die darüber berichtet zu haben scheint, ist der Bericht der FDA über den Impfstoff von Pfizer.

371 Personen, die von der Analyse der Wirksamkeit des Impfstoffs von Pfizer ausgeschlossen wurden

Ein weiterer Grund, warum wir mehr Daten benötigen, besteht darin, ein unerklärliches Detail zu analysieren, das in einer Tabelle der FDA-Überprüfung des Impfstoffs von Pfizer gefunden wurde: 371 Personen, die wegen „wichtiger Protokollabweichungen am oder vor dem 7. Tag nach Dosis 2“ von der Wirksamkeitsanalyse ausgeschlossen wurden. Beunruhigend ist das Ungleichgewicht zwischen den randomisierten Gruppen bei der Anzahl dieser ausgeschlossenen Personen: 311 aus der Impfstoffgruppe gegenüber 60 unter Placebo. (Im Gegensatz dazu wurden in der Moderna-Studie nur 36 Teilnehmer wegen „schwerwiegender Protokollabweichung“ von der Wirksamkeitsanalyse ausgeschlossen – 12 in der Impfstoffgruppe gegenüber 24 in der Placebogruppe).

Was waren diese Protokollabweichungen in der Studie von Pfizer, und warum wurden in der Impfstoffgruppe fünfmal mehr Teilnehmer ausgeschlossen? Der FDA-Bericht sagt es nicht, und diese Ausschlüsse sind selbst in Pfizers Bericht und der Fachpublikation nur schwer zu erkennen.

Fieber- und Schmerzmedikamente, Unverblindung und Komitees zur Beurteilung von Primärereignissen

Vor einem Monat habe ich meine Besorgnis über die potenziell verzerrende Rolle von Schmerz- und Fiebermedikamenten zur Behandlung von Symptomen zum Ausdruck gebracht. Ich postulierte, dass solche Medikamente Symptome verschleiern könnten, was zu einer Untererfassung von COVID-19-Fällen führen könnte, möglicherweise in größerer Zahl bei Personen, die den Impfstoff in dem Bemühen erhalten haben, unerwünschte Nebenwirkungen zu verhindern oder zu behandeln. Es scheint jedoch, dass ihr Potenzial, die Ergebnisse zu verfälschen, relativ begrenzt war: Obwohl die Ergebnisse darauf hindeuten, dass diese Medikamente bei Impfstoffempfängern im Vergleich zu Placeboempfängern etwa 34 Mal häufiger eingenommen wurden (zumindest für den Impfstoff von Pfizer – Moderna machte keine so eindeutigen Angaben), konzentrierte sich ihre Einnahme wohl auf die erste Woche nach der Impfung, um lokale und systemische unerwünschte Ereignisse nach der Injektion zu lindern. Die Verlaufskurven der kumulativen Inzidenz deuten jedoch auf eine relativ konstante Rate an bestätigten COVID-19-Fällen im Laufe der Zeit hin, wobei sich das Datum des Symptombeginns weit über eine Woche nach der Verabreichung hinaus erstreckt.

Allerdings gibt die höhere Rate der Medikamenteneinnahme in der Impfstoffgruppe einen weiteren Grund zur Sorge über eine inoffizielle Unverblindung. Angesichts der Reaktogenität der Impfstoffe ist es schwer vorstellbar, dass Teilnehmer und Studienärzte nicht erahnen könnten, in welcher Gruppe sie sich befinden. Der primäre Endpunkt in den Studien ist relativ subjektiv, was die Unverblindung zu einem gewichtigen Kritikpunkt macht. Dennoch scheinen weder die FDA noch die Unternehmen die Zuverlässigkeit des Verblindungsverfahrens und seine Auswirkungen auf die berichteten Ergebnisse formell untersucht zu haben.

Wir wissen auch nicht genug über die Abläufe in den Ausschüssen zur Beurteilung von Primärereignissen, die die COVID-19-Fälle ausgezählt haben. Waren sie verblindet gegenüber Antikörperdaten und Informationen über die Symptome der Patienten in der ersten Woche nach der Impfung? Welche Kriterien haben sie angewandt, und warum war ein solches Gremium bei einem primären Ereignis, das aus einem vom Patienten berichteten Ergebnis (COVID-19-Symptome) und einem PCR-Testergebnis besteht, überhaupt notwendig? Es ist auch wichtig zu verstehen, wer in diesen Ausschüssen saß. Während Moderna sein vierköpfiges Entscheidungskomitee benannt hat – alles Ärzte, die der Universität angehören – sagt das Protokoll von Pfizer, dass drei Pfizer-Mitarbeiter die Arbeit gemacht haben. Ganz recht, Mitarbeiter von Pfizer.

Wirksamkeit des Impfstoffs bei Menschen, die bereits COVID hatten?

Personen mit einer bekannten Vorgeschichte einer SARS-CoV-2-Infektion oder einer früheren Diagnose von COVID-19 wurden von den Studien von Moderna und Pfizer ausgeschlossen. Dennoch wurden 1125 (3,0 %) bzw. 675 (2,2 %) der Teilnehmer an den Studien von Pfizer und Moderna als positiv für SARS-CoV-2 bei Studienbeginn eingestuft.

Die Sicherheit und Wirksamkeit des Impfstoffs bei diesen Empfängern wurde bisher nicht besonders beachtet, aber da immer größere Teile der Bevölkerung vieler Länder „post-COVID“ sein könnten, scheinen diese Daten wichtig zu sein – und das umso mehr, als die US-amerikanische CDC empfiehlt, den Impfstoff „unabhängig von der Vorgeschichte einer symptomatischen oder asymptomatischen SARS-CoV-2-Infektion“ zu verabreichen. Dies folgt auf die Schlussfolgerungen der Behörde bezüglich des Impfstoffs von Pfizer, dass dieser eine mindestens 92-prozentige Wirksamkeit und „keine spezifischen Sicherheitsbedenken“ bei Menschen mit früherer SARS-CoV-2-Infektion aufweist.

Nach meiner Zählung meldete Pfizer offenbar 8 Fälle von bestätigten, symptomatischen COVID-19 bei Personen, die bei Studienbeginn positiv für SARS-CoV-2 waren (1 in der Impfstoffgruppe, 7 in der Placebogruppe, wenn man die Differenz zwischen den Tabellen 9 und 10 betrachtet), und Moderna berichtete einen Fall (Placebogruppe; Tabelle 12).

Aber wie konnte es bei weltweit nur etwa vier bis 31 dokumentierten Reinfektionen dazu kommen, dass in Studien mit Zehntausenden von Teilnehmern und einer medianen Nachbeobachtungszeit von zwei Monaten neun bestätigte COVID-19-Fälle unter denjenigen auftraten, die zu Studienbeginn eine SARS-CoV-2-Infektion hatten? Ist dies repräsentativ für eine aussagekräftige Wirksamkeit des Impfstoffs, wie es die CDC anscheinend annimmt? Oder könnte es etwas anderes sein, wie die Verhinderung von COVID-19-Symptomen, möglicherweise durch den Impfstoff oder durch die Verwendung von Medikamenten, die die Symptome unterdrücken, und gar nichts mit der Reinfektion zu tun haben?

Wir brauchen die Rohdaten

Um die vielen offenen Fragen zu diesen Studien zu klären, brauchen wir Zugang zu den Rohdaten der Studien. Aber kein Unternehmen scheint bisher Daten mit unabhängigen Dritten geteilt zu haben.

Pfizer sagt, dass es die Daten „auf Anfrage und vorbehaltlich der Genehmigung“ zur Verfügung stellt. Das ist weit davon entfernt, die Daten öffentlich zugänglich zu machen, lässt aber zumindest die Tür offen. Wie offen, ist allerdings unklar, weil das Studienprotokoll besagt, dass Pfizer die Daten erst 24 Monate nach Abschluss der Studie zur Verfügung stellen wird.

Die Erklärung von Moderna zur gemeinsamen Nutzung von Daten besagt, dass die Daten „auf Anfrage verfügbar sein können, sobald die Studie abgeschlossen ist“. Dies bedeutet, dass die Daten irgendwann Mitte bis Ende 2022 zur Verfügung stehen werden, da die Nachbeobachtung für 2 Jahre geplant ist.

Gleiches dürfte für den Impfstoff von Oxford/AstraZeneca gelten, der Daten auf Patientenebene zugesagt hat, „wenn die Studie abgeschlossen ist“. Und der ClinicalTrials.gov-Eintrag für den russischen Impfstoff Sputnik V besagt, dass es keine Pläne gibt, individuelle Teilnehmerdaten zu veröffentlichen.

Die Europäische Arzneimittelbehörde (EMA) und die kanadische Gesundheitsbehörde (Health Canada) werden die Daten für alle zugelassenen Impfstoffe jedoch möglicherweise schon viel früher veröffentlichen. Die EMA hat bereits angekündigt, die von Pfizer eingereichten Daten „zu gegebener Zeit“ auf ihrer Website zu veröffentlichen, ebenso wie Health Canada.

Fußnote

Die Berechnungen in diesem Artikel sind wie folgt: 19% = 1 – (8+1594)/(162+1816); 29% = 1 – (8 + 1594 – 409)/(162 + 1816 – 287). Die Nenner habe ich ignoriert, da sie zwischen den Gruppen ähnlich sind.

Ursprünglich veröffentlicht in The BMJ Jan. 4, 2021, geschrieben von Peter Doshi, hier reproduziert unter den Bedingungen der CC BY NC Lizenz.

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Aus dem Englischen übersetzt von Uwe Alschner


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lachmitmaren
3 Jahre zuvor

Besonders spannend finde ich ja, dass die Veröffentlichung der Rohdaten 24 Monate nach Abschluss der „Erprobungsphase“ geplant ist, also Mitte bis Ende 2022.
Gleichzeitig aber geplant ist, innerhalb dieser Zeit den größten Teil der gesamten Menschheit bereits durchgeimpft zu haben … .