Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie …
Thema: Gesundheit & PolitikMit schöner Regelmässigkeit kehrt sie wieder: die Meldung auf allen Kanälen, wonach nun endlich bewiesen sei, dass Vitalstoffe nicht nur nichts nützen, sondern sogar schädlich sein können. Das Ende der Vitaminpille, titelte der SPIEGEL. Hier ist weniger ein Wunsch der Vater des Gedankens, als dass ein ziemlich offensichtliches Hand-in-Hand-Wirken von vermeintlichem Qualitätsjournalismus mit den Interessen einer Milliardenindustrie zutage tritt. Systematisch nämlich werden immer wieder die Sinnhaftigkeit oder gar die Existenzberechtigung von Vitalstoffen in den Medien in Zweifel gezogen, während auf der anderen Seite die Pharmaindustrie als Wolf im Schafspelz auftritt und selbst eigene „Vitalstoff-Experten“ etabliert. Ziel des Unterfangens: die Kontrolle über alles, was zu Vitalstoffen gesagt und angewendet werden darf.
Ausgangspunkt der neuen Welle gegen Vitalstoffe ist eines der angesehensten medizinischen Journale, die Annals of Internal Medicine. Am 17. Dezember 2013 veröffentlichten die Annals drei Studien zum medizinischen Nutzen von Vitalstoffen bei verschiedenen Indikationen. Die erste Studie untersuchte den Zusammenhang von hochdosierten Mineralien und Vitaminen mit der Häufigkeit eines Rückfalls nach Herzinfarkten.
Die zweite Studie untersuchte, wie sich die Einnahme eines Multivitaminproduktes auf die Erhaltung der geistigen Fähigkeiten älterer Männer auswirkte. Die dritte Studie widmete sich der Frage nach der Wirksamkeit von Vitamin- und Mineralstoffergänzung zur Vorbeugung von Krebs und Herz-/Kreislauf-Erkrankungen. In einem zusammenfassenden Editorial kamen dabei die Herausgeber der Annals zu dem verbreiteten Verdikt: „Genug ist Genug! Beendet die Geldverschwendung für Vitamin- und Mineralstoff-Supplemente“.
Pharma-Anzeigen finanzieren Fachjournale
Diese Schlagzeile ist aus zwei Gründen skandalös: Zum einen ist sie eine Verzerrung der tatsächlichen Ergebnisse der drei Studien. Diese sind in ihrem Design und ihren Schlussfolgerungen in vielfacher Hinsicht fragwürdig und angreifbar, so dass es gegen jede wissenschaftliche Ethik verstösst, wie die Herausgeber der Annals ausgerechnet diese drei Studien zum Beleg für ihre Behauptung erheben konnten, dass Vitalstoffe nutzlos oder schädlich seien. Zum zweiten ist in der weiteren, weltweiten Berichterstattung das Editorial selbst zum Aufhänger geworden, was gegen jede journalistische Ethik und Praxis verstösst. Die nämlich hat im Interesse eines Erkenntnisgewinns für die Leser nicht nur eine Meldung auf ihren Ursprung zurück zu verfolgen (was bedeutet hätte, die Studien und nicht nur das Editorial zu lesen), sondern auch „die andere Seite“ zu befragen. In diesem Fall hätte dies bedeutet: wenn schon nicht Befürworter einer weiteren Erforschung und Anwendung von Vitalstoffen zu zitieren, dann zumindest auf einen lang bekannten Umstand hinzuweisen:
Es ist seit langem bekannt, dass Pharmaunternehmen über die Finanzierung wissenschaftlicher Fachzeitschriften mittels Anzeigen Einfluss nehmen darauf, was als wissenschaftlich anerkannt gilt. Je höher der Anteil an Anzeigen für Arzneimittelhersteller in Fachzeitschriften wie den Annals of Internat Medicine ist, desto seltener, aber umso negativer wird überhaupt über Forschungen zu Mikronährstoffen berichtet. Dies fanden Forscher an der Universität von Florida heraus. Und darüber wurde noch nie in den allgemeinen Medien berichtet. Warum nicht? Vielleicht liegt es an den Gemeinsamkeiten in der Finanzierung? Ist es überraschend, dass sich die Medien derart instrumentalisieren lassen, wo auch ihre Einnahmen in erheblichem Maße von Werbekunden aus der chemisch-pharmazeutischen Industrie abhängen? Sowohl in den Warnhinweisen am Rand von gedruckten Anzeigen, als auch in den typischen Audiohinweisen bei Fernseh- und Radiowerbung heisst es: Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie …
Auch der SPIEGEL hat die Meldung der Annals im Dezember verbreitet, garniert mit Kommentaren über Millionenumsätze der Vitamin-Branche. „900 Millionen setzte die Branche allein 2010 um“, heisst es im SPIEGEL-Artikel, freilich mit Verweis auf eine eigene alte Geschichte aus 2012. Eine horrende Summe, so scheint es, für nutzlose Pillen einer raffgierigen Branche hinterher geworfen, so scheint es.
Dabei hätte gerade dem SPIEGEL klar sein müsse, wie irrelevant diese Zahlen für sich genommen sind. Bei dieser Summe handelt es sich um Peanuts, gemessen dann den Profiten, die die Pharmazeutische Industrie aus ihren synthetischen, patentierbaren Medikamenten erwirtschaftet, und zwar mit Methoden, für die der angesehene dänische Arzt und Forscher Peter Gøtzsche in seinem jüngsten Buch Deadly Medicines and Organised Crime als „verbrecherisch“ und „mafiös“ bezeichnet.
Pharma-Mitarbeiter in zweifelhafter Mission
Wie stark die industriellen Interessen an der Kontrolle der Debatte um Vitalstoffe tatsächlich sind, wird an einem kleinen Detail deutlich: Unter den zahlreichen Stellungnahmen, die sich kritisch mit dem Editorial der Annals auseinandersetzten, war auch die der Gesellschaft zur Information über Vitalstoffe und Ernährung (GIVE). Auf den ersten Blick sieht es so aus, als sei die GIVE eine Verbraucherorganisation. Tatsächlich handelt es sich jedoch um einen Zusammenschluss „führender Gesundheitsunternehmen“ zum Zweck der „Verbraucheraufklärung zu wichtigen Ernährungsfragen“. Auch wenn sich in der Satzung sowie an anderen Stellen des Vereins zahlreiche Hinweise auf die zentrale Bedeutung einer ausreichenden Vitalstoffversorgung finden, wirkt der Verein in seiner Außendarstellung eher verschleiernd. So spricht der Vorsitzende von GIVE, ein Repräsentant des Pharma-Riesen Pfizer, etwa bei der Vorstellung des Vitamin-Berichtes 2012 in Berlin laut Presserklärung [PDF] davon, „dass es in Deutschland keinen grundsätzlichen Mangel an Mikronährstoffen“ gebe. Eine Linie, die die Zunahme chronischer Krankheiten völlig vom Zusammenhang einer adäquaten Vitalstoff-Versorgung entkoppeln will. Medikamente seien erforderlich, „um Krankheiten zu behandeln“, so der Pfizer-Mann in seiner Stellungnahme zum Annals-Editorial.
Was nicht berichtet wurde
Worauf die GIVE tatsächlich hätte in ihrer Kritik abheben können, ist ein für Pfizer wenig rühmliches Detail: Zwei der Studien, die eine Wirkungslosigkeit von Vitalstoffen beweisen wollen, stützen sich auf ein Produkt des Pharma-Riesen. Sowohl die Studie über die präventive Wirkung von Multivitaminen für eine geistige Gesundheit, als auch jene bezüglich der Verhinderung weiterer Herz-Kreislauferkrankungen stützen sich auf die Gabe von Pfizer’s Centrum Silver.
Abgesehen von der Tatsache, dass die Zusammensetzung von Centrum in Fachkreisen eben gerade nicht als hochdosiert, sondern eher zu niedrig dosiert erscheint um eine nachhaltige Wirkung zu erzeugen (was in der Logik der Hersteller patentierbarer, und damit sündhaft teurer Arzneimittel vielleicht gar keine schlechte Taktik wäre), enthält Centrum mehrere künstliche Farbstoffe (Marketing!). Die sind häufig Aluminium-Verbindungen. Aluminium ist jedoch ein Metall, welches mit der Entstehung degenerativer Erkrankungen des Gehirns und speziell mit Alzheimer in Verbindung gebracht wird. Es wäre nicht überraschend, wenn die negativen Ergebnisse der jüngsten in den Annals dokumentierten Studie mit der speziellen Zusammensetzung des Pfizer-Produktes in Zusammenhang stünden. An anderen Stellen ist der Nachweis der Wirksamkeit von Mikronährstoffen für die Vorbeugung und Behandlung geistiger Erkrankungen belegt. Auch davon im SPIEGEL kein Wort.
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